Sonntag, 21. September 2008

Amöbe Teil 1

Gestaltung im Design – Annäherung an eine Begriffsamöbe


von Gernot Lenschow




Gestaltung – ein Begriff, der ins Erhabene entglitten ist, steht nun mehr den im Hier und Jetzt Angekommenen zur beliebigen Verfügung.

Gestaltung – ein Begriff zur Erzeugung hehrer Empfindungen und intellektueller Präsenz vereinigt die arrivierten Müßiggänger zum Chor der Bildungsgeschwätzigen.

Gestaltung – ein Begriff, dessen Bedeutung ihren Inhalt schon längst verlor. Ein Begriff nun, der in seiner Leere frei ist für Annexionen durch eitle Hülsen: Leere mit Leerem gefüllt.

Gestaltung – ein gepeinigtes Wort, das zu verwenden peinlich ist, weil das Gemeinte mit dem Gesagten nicht korreliert. So stülpt der Begriff Gestaltung Scheinfüßchen aus, die dem jeweils Gemeinten befristet Substanz zu geben scheinen.


Wer benötigt einen Begriff, den keiner begreift?


Es besteht der Verdacht, dass Menschen mit ihm umgehen, die das Unbegreifliche in Wörter fassen wollen, um den Eindruck des Adepten zu erwecken: fassbar das Unfassbare aber unbegreiflich.


Esoterische Ästhetomanen.




Es geht auch anders:

Gestaltung ent-weihen und beim Wort nehmen. Einfach sagen Gestaltung befasst sich mit der Entwicklung von Gestalten – nicht von Formen. Das hieße Formung.

Gestalten haben Eigenschaften, die etwas bewirken. Formen dagegen haben Merkmale, die sie von ihrer Umgebung unterscheidbar machen.


Erfolgreich gestalten heißt, Wirkungen zu gewährleisten. Die Effizienz dieser Wirkungen kennzeichnet die Qualität der Gestaltung. Die Qualität aber wird wesentlich mitbestimmt durch die Relation zwischen Mensch und Gestaltetem. Das kann eine Form sein, die so gestaltet ist, dass ein Mensch durch die Beziehung zu dieser Gestalt selbst etwas bewirkt oder eine Wirkung erlebt. Es können aber ebenso gut Zustände, Organisationen, Prinzipien oder Systeme sein, die durch Gestaltungsprozesse Mensch-Gestalt-Beziehungen begründen.


Gestaltung ist keine Insider-Domäne sondern eine allgemeine menschliche Verhaltens-weise, die überall im Leben des Menschen stattfindet: Gestaltung ist geplantes, vernünftiges und erfolgsorientiertes Handeln des Menschen.

Gestaltung findet eben so bei der Erstellung eines Einkaufszettels statt, wie bei der Entwicklung einer Granate, bei einem Kunstwerk, einem Dolch, einer Curry-Wurst oder einer Mausefalle. Maßstab ist zunächst immer die Effizienz und damit auch die Art der Beziehung zwischen Gestaltetem und Mensch. Eine ethische Bewertung wird immer von denen gefordert werden, die den Dolch führen und denen die durch ihn getroffen werden, den Betreffenden bzw. Betroffenen also.

Was allerdings keineswegs heißt, dass jedes menschliche Erzeugnis per Beurteilungsstandort bereits gerechtfertigt ist. Generell gilt wohl, dass Gestaltungen mit Gefährdungspotenzial für die Menschheit und die Welt, in der sie ihre Zeit verbringt schon aus Gründen mangelnder Effizienz zu unterlassen sind.

Es ist zwar nicht so, sollte aber wohl so sein, dass Ziele der Gestaltung bekömmliche Eigen-schaften implizieren. Fragt sich nur, wem’s bekommt.

Was dem einen seine Keule, ist dem anderen seine Beule!“


Da Gestaltung nun einmal durch ubiquitäres Auftreten gekennzeichnet ist, wird es erforderlich, für’s Weitere Bereiche zu definieren, in denen Gestaltung über den Zweck menschlicher Selbsterfüllung hinaus von sozialer Relevanz ist.

Dies sind Durchführungen oder Erzeugungen, deren Wirkungen zunächst durch eine statistische Objektivität „die Menschheit betreffend“ beschrieben werden können, die jedoch darüber hinaus individuelle, subjektive Interpretationen zulassen.


Bemerkenswerter Weise ist es seit dem Klassizismus des 19. Jahrhunderts üblich geworden, in den Bereich der statistischen Objektivität ein Bewertungsprinzip einzuschleusen, das in Folge konventioneller Überschätzung auf Emotionen basiert und mit „gutem Geschmack“ etikettiert wird. Ein Prinzip, das ähnlich unverdaulich ist, wie die ominöse „Vaterlandsliebe“ und andere „edle“ Gefühle, für die es gut sei, sein Hab und Gut, sein Leben gar zu opfern.


Wir ziehen alle am selben Strang!“


Tun wir nicht!

So weit erkennbar zeigt der Mensch trotz aller sozialen Abhängigkeiten eine fast latente Neigung zur Individualität. Trotz aller Massenpsychosen, Modetrends, Statussymbolik gilt nicht nur in England: „My home, my castle.“

Das heißt, um Mensch zu sein, bedarf es neben gesellschaftlichen Bedingtheiten eben so der individuellen Interpretation dieser Bedingtheiten, ohne die sich Eigenständigkeit, Selbstbewusstsein und Kompetenz nicht ereignen werden.


Gestaltungsprozesse mit sozialer Relevanz nehmen sowohl Einfluss auf die Gesellschaft als ganze als auch auf das Individuum selbst.

Sie finden sich in allen Zweigen der Künste, der Wissenschaften, der praktizierten Pädagogik.

Sie werden in handwerklichen und industriellen Produktionsvorgängen erkennbar wie auch in kommunikativen, informativen und manipulativen Entwicklungen, Maßnahmen und Einrichtungen.

Im Grunde ist es gleichgültig, welcher Gestaltungsprozess näher ins Auge gefasst wird. Die basalen Gestaltungsansätze von ihnen allen zeigen weitgehend identische Züge, die erst durch fachspezifische Themen auch strukturelle Modifikationen erfahren.


Im vorliegenden Fall wird die Amöbe Gestaltung dem Designbegriff ausgesetzt und das nicht zuletzt deshalb, weil dieser Designbegriff so eine fatale Ähnlichkeit mit dem Amöbenbegriff Gestaltung zu haben scheint.


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